Wie der Reifenplatten zum Highlight wird

Auf unserem Weg zurück nach Tabriz und anschließend zur armenischen Grenze befinden wir uns auf einmal auf einer unglaublich schlechten Straße. Ein Schlagloch jagt das nächste, zwischendurch ist mal wieder Schotter und falls die Straße mal ein paar hundert Meter gut ist, wurden natürlich Bumms eingebaut. Bei unserer Mittagspause nahm dann das Schicksal seinen Lauf und wir hörten wie an einem Reifen die Luft lautstark rausströmte. Super, nächster Platten. Der dritte insgesamt und der zweite in Iran. Eigentlich wollten wir doch einfach schnellstmöglich nach Tabriz. Total genervt fangen wir an den Reifen zu wechseln und versuchen so gut es geht die ganz langsam vorbeifahrenden Autos zu ignorieren. Umso erstaunter und positiv überrascht sind wir, als ein LKW stoppt und der Fahrer uns sofort hilft und mit anpackt. Hasan bietet uns auch gleich seine Hilfe beim Reifen reparieren an. Sein Ort ist 80km entfernt und er gibt uns seine Nummer. Dort angekommen funktioniert alles wunderbar und während der Reparatur werden wir zu ihm nach Hause eingeladen.

Sein großes, noch nicht fertig gebautes Haus steht ganz oben in Khalkhal und die Aussicht auf die Stadt und die umliegende Landschaft ist wunderschön. Der Anblick der Wohnung ist für uns erstmal ungewohnt. So gibt es in dem großen Wohnzimmer außer einer Vitrine mit ausgestellten Porzellantellern und einem Röhrenfernseher nichts, außer zwei riesigen Teppichen und ein paar Polstern an der Wand zum hinsitzen. Auch die Küche ist komplett mit Teppich ausgelegt, bei uns nicht denkbar. Schnell stellt sich heraus, dass der Sohn Geburtstag hat und wir sitzen mit einem Tee und Wassermelone vor einer großen Torte. Dank Google Übersetzer können wir trotz Sprachbarriere kommunizieren und mit der absolut liebenswerten Omi verstehe ich mich auch ganz ohne Worte. Wir werden so extrem herzlich und lieb empfangen, wir können es fast nicht glauben.

Sehr interessant war auch mal das Verhalten der Frauen zu sehen, wenn keine Männer da waren. Da war dann doch schnell mal das Kopftuch und das um den Körper gewickelte Tuch verschwunden und es wurde ausgelassen getratscht. Umso verrückter war es dann, als alle Frauen (außer mir), natürlich wieder komplett verhüllt, immer aufstanden als Holger zur Tür reinkam.

Nach vielem hin und her blieben wir schlussendlich auch zum Abendessen. Da im Iran erst sehr spät gegessen wird hatten wir noch genügend Zeit, dass Holger sich um den Reifen kümmert und ich mit der Enkelin Sarah zur Omi ging. Sarah spricht etwas Englisch und man hat ihr das Interesse an uns deutlich angemerkt. War echt toll mit ihr. Bei der Omi wurden mir die Schafe und Ziegen gezeigt, welche tagsüber mit einem Hirten unterwegs sind und morgens und abends gemolken werden. Jedes Schaf und jede Ziege werden von Hand gemolken! Für uns kaum vorstellbar. Aus der Milch wird Butter, Käse und Joghurt gemacht und ab und zu wird ein Tier geschlachtet um Fleisch zu bekommen. Holger hat in der Zwischenzeit den Reifen geholt und Hasan hatte eine riesen Freude mit Fred drei Runden hupend durch die Stadt zu drehen, ganz nach dem Motto Sehen und Gesehen werden. 😂

Gegen 22.30 Uhr gibt es dann mega leckeres, selbst gekochtes Dizi. Interessant hier ist, dass nach dem Essen das Zusammensein sehr schnell beendet ist und jeder nach Hause geht. Da beginnt unsere erste Diskussion: wir möchten im Fred schlafen. Hasan und die Omi bestehen sehr nachdrücklich darauf, dass wir in Hasans Zimmer übernachten, aber das kommt für uns nicht in Frage. Zur Info, auch hier gab es neben einem Schrank nur Teppiche auf dem Boden und darauf zwei Kissen und Decken. Als sich schließlich alle vergewissert haben, dass wir im Fred bestens ausgestattet sind, durften wir dann doch dort übernachten. Die zweite Diskussion ging doch tatsächlich darüber, dass er unsere Reparatur begleichen wollte. Auch das kam natürlich überhaupt nicht in Frage. Irgendwann hat er widerwillig unser zugestecktes Geld behalten.

Am nächsten Morgen gab es nochmals ein gemeinsames Frühstück mit selbst gemachtem Schafskäse, Schafsbutter, Schafsmilch, Tee und Brot. Echt lecker. Nachdem wir noch den besten Weg erfahren und Wasser und eine Melone bekommen haben, fährt Hasan mit uns noch zum Tanken. Hier geben wir dieses Mal nach und lassen ihn bezahlen. (die Tankbeträge sind hier ja zum Glück überschaubar) Nachdem er dann noch etwa 15km vor uns her gefahren ist, um uns die richtige Abfahrt zu zeigen und Holger nochmals den Weg zu erklären, geht es für uns dann endlich mit einem reparierten Reifen und einem unvergesslichen Erlebnis Richtung Tabriz.

1 Kommentar

    • Jürgen & Steffi auf 5. Juni 2022 bei 09:05
    • Antworten

    Wow – das sind genau die Erlebnisse von denen man zehrt. Diese Gastfreundschaft ist für uns Europäer fast unbegreiflich und man frägt sich immer „wo ist der Hacken“.. 🙂 Wo die Menschen vom Tourismus noch nicht verdorben sind gibt es meist keinen Hacken und da ist es meeeega toll, wenn man so ehrliche Gastfreundschaft erleben darf…

    Danke für diesen tollen Bericht. Wir lesen gerne mit, wie es euch auf Eurer Tour so ergeht..

    Viel Spass weiterhin.
    Grüße aus Deutschland
    Jürgen & Steffi

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